Kunst im kirchlichen Raum

"Alte und neue Kunst" vom Verein für Christliche Kunst Paderborn


Band 40-2000
Periodische Berichte des Vereins für Christliche Kunst
ISBN:  3-00-006721-3




Der Apokalypse-Zyklus von Jacques Gassmann im Hohen Dom zu Fulda, 
Seiten 107-110

Die Reihe der Festgottesdienste aus Anlass von Zweitausend Jahren Christentum im Fuldaer Dom wurde am 18. Februar des Jahres um ein Ereignis erweitert, das noch keine Tradition an diesem Ort ausgebildet hat: einen Tag des Bistums zur Feier künstlerischer Aufgaben und Leistungen in der Kirche.
Weihbischof Prof. Dr. Ludwig Schick knüpfte in seiner Festpredigt an das seit 20 Jahren von Papst Johannes Paul II. wiederholt geäußerte Bedauern an, dass eine Kluft zwischen Kunst und Kirche entstanden sei, die es zu überbrücken gelte. Insofern suche das Bistum Fulda an dem vom Papst ausgerufenen Welttag der Künstler, am Gedenktag für den seligen Fra Angelico, den Austausch mit den Künstlern aller Gattungen.
Mehr als 150 Maler, Bildhauer, Architekten und Kunsterzieher sowie Musiker erlebten eine von jungen Bildern und aktueller, improvisierter Musik geprägten Tag. Für den roten Faden sorgte neben der Aufforderung des Weihbischofs an die Teilnehmer, aus dem Tagesevangelium der Verklärung Christi gestaltende, zukunftsfähige Kräfte zu entwickeln, der ebenso großformatige wie großartige Zyklus zur Johannes-Apokalypse von Jacques Gassmann.
Im Rahmen eines Stipendiums der Hans-Lilje-Stiftung 1991 hatte der Künstler 32 Tafeln im Format 150 x 250 cm
sowie 300 x 250 cm geschaffen, die zunächst in


Hannover und Würzburg, anschließend in vielen Großstädten Europas ausgestellt worden waren. 19 Tafeln rahmten für 4 Wochen im barocken Fuldaer Dom Gottesdienste und Andachten. Touristisches Interesse und glaubenstiefe Erfahrungen sollten sich in diesen Wochen gleichermaßen verstärkt einstellen. Immerhin kam kein Besucher an den überwiegend düster gefärbten Formaten ohne weiteres vorbei. Vor allem die sieben Großformate „forderten" ihren Platz im lichten barocken Raum.
Besonders wichtig erwies sich, entgegen manchem künstlerischem Anspruch an individuellem Ausdruck, dass Jacques Gassmann seine Bilder sehr eng am Text gearbeitet hatte und entsprechend ausgelegte Tafeln die mächtigen Bilder mit dem anspruchsvollen Text zu verknüpfen halfen. Die Erfahrung des Künstlers, zur Auseinandersetzung mit der komplexen Johannes-Apokalypse (wieder) anzuregen, bestätigte sich auch an diesem historisch einzigartig geprägten Ort.
Trotz aller von Thema und Maltechnik her angelegten Düsternis der meisten Bilder - nur das Abschlussbild des himmlischen
Jerusalem steht als kristalline weiße Fläche im Raum, die unter verschiedenen Lichteinfallswinkeln dem Betrachter je nach
Standpunkt dessen Wechsel changierend verdeutlicht -beweist sich ihre gestaltete Kraft.



Allerdings prägt die Farbe Weiß im Kontrast zum verbreiteten Schwarz und den changierend verarbeiteten klaren Primärfarben den Zyklus vom ersten Bild an. Mit ihr bricht sich in jeder Tafel, mal mehr, mal weniger, das himmlische Licht seine Bahn. Im durchgehend transparent gekalkten Innenraum des Domes korrespondierte das zeitlich so weit auseinanderliegende künstlerische Menschenwerk von barockem Raum und aktueller Malerei auf beeindruckende Weise. Wie ein solches mit großem zeitlichen Abstand, architektonisch und malerisch eingesetztes einzelnes Gestaltelement in künstlerischem Zusammenspiel mit anderen inhaltliche Kraft entwickelt, wurde fast lehrbuchhaft anschaulich.

Der ursprünglich feudal angelegte „Thronsaal im Himmlischen Jerusalem" von 1712, der Stiftskirche Dietzenhofers, erfuhr eine thematische Entsprechung und steigernde Ergänzung von 1991 -vielleicht die stärkste Basis dafür, dass trotz aller Zweifel und (auch eigener) Bedenken die Ausstellung gelang.
Vor den barocken Querhausaltären bildeten die großen Tafeln eine selbständige Ebene, verdeckten teilweise die Reliefs der Predellazone, wurden aber von den Zentralfiguren Johann Neudek-kers ebenso großartig überragt. Die seitlichen Allegorien der segenspendenden wie kämpfenden Kirche, von Andreas Gallasini - in barockem, gegen-reformatorischem Selbstbewusstsein fast selbstverständlich erscheinend und deshalb sonst eher übersehen,„kommentierten" auf diese Weise mit ihrer abgeschlossenen Ikonographie und bildhauerischen Perfektion den von Jacques Gassmann ebenso selbstbe-wusst gewählten, neuzeitlichen Zugang.

Die Seitenschiffsaltäre wurden jeweils von den modernen Bildern gerahmt. Durch Umkleidung der rückwärtigen großen Mittelschiffspfeifer entstand unter der Orgelempore ein betonter Eingangsraum für den Zyklus.
Auch wenn die dunkle und expressive Kraft der Bilder nicht jedem Gottesdienstbesucher entgegenkam, ein entsprechender, einzelner Brief macht dies deutlich, zeigten viele Kommentare, dass die Besucher des Domes den aktuellen Ansatz für ein so „altes" Thema ernst nahmen und sich selbst mit allen Fragen und Unsicherheiten ernst genommen sahen.


Besonders beeindruckte, um wie viel eine Kirche (immer noch) den Kunstgalerien und Museen überlegen ist. Sie enthält, sehr funktional formuliert, eine Vielzahl von Anknüpfungspunkten für Gedankenwelt oder Fantasie der mehr oder weniger gläubigen Besucher. Bei einigermaßen ernsthaftem und qualitätsvollem Angebot weist sie Chancen auf, einen Weg vom Portal zum Allerheiligsten zu finden - oder vorher innezuhalten. Sobald die Kirchentür sich hinter ihnen schließt, befinden sich die Besucher in einem Raum, der sich materiell und symbolisch aus der Welt durch Ausstattung und Weihe beharrlicher ausgrenzt, von der Welt befreit, als jeder Museumsraum dies bieten kann.


Selbst mit der über viele Generationen gepflegten bürgerlichen Polemik gegen den barocken Kirchenraum im Ohr, musste man für die ursprüngliche Klosterkirche die gegenseitige Steigerung von moderner Kunst und Arch -tektur höfischer Provenienz anerkennen. Damit wurde, wie die Fuldaer Zeitung am Ende bemerkte, die Ausstellung auch ein touristisches Ereignis in Fulda. Für unser Fazit ist jedoch viel wichtiger, wie überzeugend Raum und Gemälde ein„Mehr boten, künstlerische und religiöse Dimension entwickelten. Gerade dies sollte am Eintritt zu einem weiteren Jahrtausend Christentum in so deutlich glaubensschwachen Zeiten Mitteleuropas kaum hoch genug zu bewerten sein.


In seiner Predigt hatte Weihbischof Ludwig Schick die Künstler aufgefordert, mit ihrer Arbeit „die Menschhei: auf dem Weg zum Ziel zu begleiten und so geistlichen und pastoralen Nutzen zu bringen". Jacques Gassmanns Zyklus erfüllt diesen Ansprucr in mehrfacher Hinsicht. Sein unverkrampft junger aktueller Umgang mi: dem weit in die Zukunft einzelner Menschen hinausgreifenden Thema erschließt Sinnschichten, auf die wir anders gar nicht stoßen können. Soweit könnten diese vier Wochen r Fuldaer Dom programmatischen Charakter haben, sollte eine Fortsetzung mit unverändert hohem Anspruch gelingen.
 
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